TA professional, Fr, 02.11.2001, ks.
Weitere Artikel von Kurt Seifert : Traut Euch, "Pssst", Kursgewinne gefällig?, Neuer Markt: Das Geld liegt auf der Straße, Sehen vs. Hoffen, Wu Wei (Nichts tun) ?, O.N..
Am 11.6.2001 erkühnte ich mich, einen wesentlichen Teil meines damaligen Depots und einen kleinen Teil meiner diversen WatchLists unter der gewollt provokanten Überschrift "Pssst", Kursgewinne gefällig? publik zu machen. Rückblickend ein ausgesprochen unglücklicher Zeitpunkt.
Seither ist viel geschehen.
Klügere Autoren vermeiden Festlegungen. Medienerfahrene Schreiber vertrauen auf das kurze Gedächnis ihrer Leserschaft. Ich leiste mir eine kritische Nachschau. Nicht als selbstquälerische Kasteiung, sondern als charttechnische Untersuchung des Werts von intakten Trends zum Zeitpunkt eines Investitionsbeginns.
Ist der Trend wirklich unser Freund, wenn Rezessionsbefürchtungen zur Rezessionsgewissheit werden und Terrorverbrechen die Welt aufwühlen und verunsichern? John Magee sprach von "Akten Gottes", wenn er unvorhersehbare Ereignisse meinte, die die Regeln der Charttechnik außer kraft setzen. Diese Formulierung bleibt mir im Halse stecken. Doch bezogen auf die Prognosefähigkeit der Chartanalyse lassen die zurückliegenden Akte des Teufels wichtige Rückschlüsse zu.
Zugegeben, die uneingeschränkt weiter gültigen Passagen meines vormaligen Artikels sind hauptsächlich jene über Stop-Loss-Management. Meine zeitweilige Befriedigung über das Auslassen des Paniktiefs ist allerdings zwischenzeitlich deutlich relativiert durch das nachfolgende teilweise Auslassen der rasanten Kurserholung. Nur in einigen Fällen gelangen mir Bestandsverbilligungen, in anderen kaufte ich teurer zurück. In den meisten hat lediglich die Bank gut an mir verdient (siehe Fußnote **).
Dies sind allerdings "Im-Nachhinein-Feststellungen", die mich nicht irre machen können. Zumal es auch einige Engagements gab, die ich nicht mehr erneuerte und bei denen ich froh bin, seinerzeit mit "zittriger Hand" den Sell-Button angeklickt zu haben.
Im Betrachtungszeitraum 11.6. bis 2.11.2001 fiel der Dax von 6722 auf 4583 Punkte. Das sind immerhin minus 31% (Immer noch, trotz der zwischenzeitlich erfolgten heftigen Korrekturbewegung in Richtung des oberhalb verlaufenden langfristigen Abwärtstrends dieses Indexes).
Aus Gründen der Übersichtlichkeit habe ich die Einzeldaten und meine jeweiligen Kurzkommentare zu den damals besprochenen Aktien in den Anhang verbannt. Hier nun eine zusammenfassende Auswertung, die von buy-and-hold ausgeht und damit das eigentliche Ergebnis sogar noch negativ verzeichnet, da es die Möglichkeiten der Verlustbegrenzung (siehe Fußnote **) unberücksichtigt läßt:
- Aktien mit Kursanstiegen: 4 Werte
- Aktien mit Kursrückgängen: 18 Werte, davon 3 mit über dem prozentualen DAX-Rückgang liegenden Wertverlusten.
- Insgesamt: 22 Werte. Bei einem entsprechend zusammengesetzten, gleichgewichteten Depot ergäben die Einzelergebnisse einen durchschnittlichen Wertverlust von rund 14%.
Äußerst unbefriedigend. Obwohl so manches Fonds-Manager-Team für deutsche MDAX- und Nebenwerte die Sektkorken knallen lassen würde, wenn es diese "Negativ-Performance" erreicht hätte.
Wichtiger als das prozentuale Zwischenergebnis zu diesem willkürlich gewählten Zeitpunkt scheint mir hingegen die Einschätzung der weiteren Entwicklung. Wurde durch Wirtschaftsrückgang und Verbrechen der trendfolgende Investitionsansatz nach charttechnischer Stärke widerlegt?
Nach meiner subjektiven Charteinschätzung befinden sich:
- Weiterhin im Aufwärtstrend: 6 Werte (Beru, BHW, Bilfinger Berger, Buderus, Edscha, Südzucker)
- Kurz vor Wiederaufnahme des Aufwärtstrends: 7 Werte (FJA, K+S, König & Bauer, Pankl Racing, Porsche, Rheinmetall, Wella)
- In einer Seitwärtsbewegung, deren Ausgang gegenwärtig noch offen ist: 2 Werte (Käsbohrer, Walter)
- In einem Downtrend, bzw. nach einem solchen, der vernünftigerweise bereits zu einer Beendigung des Engagements geführt haben sollte: 7 Werte (Berentzen, Bien-Haus, Hugo Boss, Celanese, FMC, Kolbenschmidt, Schlott-Sebaldus).
Das ist, m. E. nicht nur statistisch, ein klares 2:1 für Investments in Aktien mit bestehenden Aufwärtstrends, also für "Trittbrettfahren", wie ich diese Methode seinerzeit etwas abwertend titulierte.
The trend is your friend.
Kurt Seifert
02.11.2001
Was wurde im einzelnen aus jenen damals genannten Werten, die in schwachem Börsenumfeld durch intakte Aufwärtstrends glänzten?
(In Klammern jeweils der Kurs vom 11.6.2001 / 2.11.2001 und die Veränderung in %.)
- Berentzen Vz (Euro 5,46/Euro 4,50 = -20%)
Der schöne charttechnische Ausbruch über den waagerecht verlaufenden GD 200 erwies sich als False-break. Wehe allen, die in der Folgezeit ohne Stop-Loss-Netz engagiert waren. Die Aktie kämpft heute wiederum mit dem langfristigen GD, doch dies ist eine neue Story und hat nichts mehr mit dem seinerzeitigen Ausbruch zu tun. Möglicherweise bildet sich hier sogar ein großer Doppelboden.
- Beru (*) (Euro 43,70/Euro 48,20 = +10%)
Man konnte diesen Wert zwischenzeitlich für Euro 35,50 haben. Die Terroranschläge in den USA, zusammen mit dem Dividendenabschlag vom 19.11.01, erzeugten einen häßlichen, im Nachhinein jedoch bedeutungslosen Einbruch. Inzwischen hat die Aktie ihren Aufwärtstrend wieder aufgenommen.
- BHW Holding (Euro 31,80/Euro 33,80 = +6%)
War was? (Wird der Aktionär dieses Unternehmens rückblickend fragen.)
- Bien-Haus (Euro 13,80/Euro 8,50 = -38%)
Ich orakelte damals etwas von "sehr früh" und "spekulativ". Mitunter sollte ich auf mich hören.
- Bilfinger Berger (*) (Euro 21,51/Euro 21,80 = +1%)
Die "ruhigen Hände" sparten zweimalige Transaktionskosten. Der Aufwärtstrend setzt sich fort.
- Hugo Boss Vz (Euro 37,30/ Euro 20,18 = -46%)
Der gegenwärtig laufende Abwärtstrend begann exakt am 12. Juni 2001, einen Tag nach meiner Veröffentlichung. Es wird den Leser überraschen, daß ich gerade deshalb und trotzdem die Kursentwicklung von Hugo Boss als Überlegenheitsbeweis für Charttechnik anführe. Der gravierende Kursrückgang ist nur zum kleineren Teil auf die Ereignisse der jüngsten Zeit zurückzuführen, er hat seine Hauptursache erkennbar in einer veränderten Einschätzung der Aktie durch den Markt. Jeder Investor in Boss konnte seinen (und meinen) Irrtum in dem Augenblick erkennen, und die notwendige Aktion einleiten, als der Kurs den bestehenden Aufwärtstrend nach unten brach. Damit war dieser Geldanleger niemals ernstlich in Gefahr, namhaft an diesem Engagement zu verlieren.
Wer hingegen Hugo Boss fundamental bewertete und begleitete, wundert sich vermutlich noch heute über die eingetretene Kurshalbierung. Außer moderaten Anpassungen der Unternehmenserwartungen an die gedrückte Gesamtsituation gibt es nichts Berichtenswertes, was in irgendeiner Form wirklich Grund zu fundamentaltechnischer Beunruhigung böte. Ein konsequenter Fundamentalanalytiker sitzt deshalb konsequenterweise auf seinen horrenden Verlusten in dieser Position.
- Buderus (Euro 27,25/Euro 27,70 = +2%)
Der Aufwärtstrend setzt sich fort.
- Celanese (Euro 26,40/Euro 15,95 = -40%)
Ausgestoppt. Zum Glück ausgestoppt und Gewinne mitgenommen. Ein weiteres Beispiel für meine bis zur Erschöpfung wiederholte These, daß Stop-Loss-Technik darüber entscheidet, ob man sein Depot in der Gewinnzone hält oder aber gegen die Wand fährt.
- Edscha (Euro 17,50/Euro 17,35 = -2%)
Es war sicherlich ein Fehler von mir, bei diesem Wert in der Krise der letzten Monate nicht mutig zuzugreifen. Es wird sicherlich in einem halben Jahr von mir als Fehler empfunden werden, daß ich es selbst jetzt noch nicht tue, da diese Aktie sich anschickt, ihren vormaligen Aufwärtstrend wieder fortzusetzen.
- FJA (Euro 73/Euro 55,90 = -23%)
Dazwischen liegt eine V-Formation mit Euro 32,50 als Tiefstpunkt. Der Wert ist einerseits hochvolatil und andererseits in der Erholung deutlich schwächer als Beru, BHW, Bilfinger, Buderus, Edscha. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt traue ich mich noch nicht, von einer Trendfortsetzung zu sprechen.
- Fresenius Medical Care (Euro 58,10/Euro 49,85 = -14%)
Der Aufwärtstrend ist beendet, jedoch nicht durch die allgemein bekannten Ereignisse, sondern erst durch die Kursentwicklung der letzten Tage.
- K + S (Euro 20,60/Euro 19,20 = -7%)
Es besteht eine gute Chance, daß sich der seinerzeit bestehende Aufwärtstrend nun fortsetzt.
- Kässbohrer (Euro 18/Euro 16,20 = -10%)
Der Kurs lief monatelang seitwärts und nähert sich gerade jetzt einer charttechnischen Entscheidungsphase.
- König & Bauer (Euro 25/Euro 23,90 = -4%)
Es besteht eine gute Chance, daß sich der Aufwärtstrend fortsetzt.
- Kolbenschmidt (Euro 16,10/Euro 11,60 = -28%)
Siehe Hugo Boss.
- Pankl Racing (Euro 51/ Euro 43,80 = -14%)
Siehe König & Bauer.
- Porsche (Euro 403/Euro 326 = -18%)
Siehe FJA.
- Rheinmetall (Euro 12,25/Euro 11,65 = -5%)
Siehe König & Bauer.
- Schlott Sebaldus (Euro 25,80/ Euro 17,50 = -32%)
Siehe Hugo Boss.
- Südzucker (*) (Euro 16,37/Euro 15,55 = -5%)
Der Aufwärtstrend setzt sich fort.
- Walter (*) (Euro 32,60/Euro 28,60 = -12%)
Seitwärtsbewegung mit Tendenz zur Schwäche. Spätestens bei Euro 26,50 sollte die Stop-Loss-Notbremse greifen.
- Wella (Euro 54,40/Euro 51,95 = -4%)
Siehe König & Bauer.
(*) Diese Werte hat der Autor im Bestand und sein Kommentar sollte deshalb auch unter diesem Gesichtspunkt betrachtet werden.
(**) In einem konsequent durch Stop-Loss abgesicherten Depot kommen keine Kurshalbierungen vor. Entwickelt sich eine Aktie unmittelbar nach dem Kauf in die verkehrte Richtung, sollte bei -15% Schluß sein. Diese Vorgehensweise hätte bei der weiter oben unterstellten Depotfiktion für diese Wertpapierzusammenstellung zwei Konsequenzen gehabt:
- Einerseits wären dem Investor einige Positionen mit gravierenden Kurszusammenbrüchen erspart geblieben.
- Andererseits wären insgesamt 20 der obigen 22 Positionen ausgestoppt worden und hätten hiernach ein Neuengagement erfordert. Eine realistische Betrachtungsweise zeigt, daß die Kosten für "raus-rein" nicht nur aus den Transaktionsgebühren bestehen. Anleger sind keine Maschinen. Häufig wird am unteren Wendepunkt eines Kursverlaufes gezögert, anstatt mutig zugegriffen und damit eine günstige Gelegenheit verpaßt.
Ebenso häufig zweifelt gerade der charttechnisch orientierte Käufer an der Weisheit eines Wiedereinstiegs beim vormaligen Stop-Loss-Ausstiegsniveau und verpaßt als Folge hiervon entweder den Einstieg ganz oder ordert erst zu einem höheren Kurs. Dies sind zusätzliche Kosten und dies gehört zu den unangenehmen Wahrheiten jeder Stop-Loss-Technik.
Die zurückliegenden V-Formationen sind sicherlich nicht das optimale Szenario für Stop-Loss, aber man muß den Markt akzeptieren und nehmen wie er kommt. Nur so bietet Stop-Loss Sicherheit. Schließlich wenden wir dieses Verfahren deshalb an, weil wir künftige Entwicklungen nicht kennen und es gibt auch in obiger Listung genug Kandidaten, die "unten blieben", kein V formten, und damit meine vorsichtige Haltung bestätigten.
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