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Sehen versus Hoffen

TA professional, Mo, 01.01.2001,
ks.

Was wird uns das Börsenjahr 2001 bringen?

Ich bin mir absolut sicher. Daß ich dies nicht weiß. Damit befinde ich mich allerdings ganz eindeutig in einer Minderheitsposition. Wohin ich blicke, worin ich auch lese, die Medien sind voll von Zukunftsprognosen für das vor uns liegende Jahr.

Nun sind Zukunftseinschätzungen eine unerläßliche Voraussetzung für jede notwendige Planung, unbestritten. Deshalb ist es auch nur zu natürlich, daß der einzelne Privatanleger aus der Froschperspektive seines Depots aufschaut zu den bedeutenden Wirtschaftswissenschaftlern, Analysten und Fondsmanagern und hofft, in deren Zukunftseinschätzung eine Leitschnur für das eigene erfolgreiche Handeln finden zu können.

Das Ergebnis solcher Orientierung ist zum Schluß ein unentwirrbares Knäuel von Fakten, Informationen, wissenschaftlichen Ansichten, fachlich fundierten Meinungen und Privatansichten Dritter.
Wir saugen diese Meinungsgesamtsituation auf, verinnerlichen sie, und halten sie am Ende für unsere eigene, eigenständig und analytisch gewonnene Einsicht in die Gegenwartssituation. Darauf basieren dann, z. T. sogar unbewußt, unsere Entscheidungen und Handlungen. "Vernunftgesteuert" beschließen wir eine Aktie zu kaufen, die gegenwärtig zwar noch..., aber eigentlich müßte..., beschließen wir eine Aktie zu halten, obwohl sie seit Wochen und Monaten nur sinkende Kurse produziert, weil nach allgemeiner und meiner Meinung bald...., beschließen wir eine Aktie zu verkaufen, weil man nicht nur selbst, sondern auch die Fachleute glauben, daß dieser Wert....

Sehen vs. Hoffen. Hoffen als Ergebnis von "Glauben", "Denken", "Wissen", "Meinen".


Was ist denn von unserem Mehrheitsmeinungsbild gegenwärtig sichtbar und nicht nur erwartet und angedacht?

Konjunktur: Wir erwarten ein Softlanding in den USA mit auf ca. 3% reduziertem aber eindeutig fortbestehendem Wirtschafts-Wachstum bei gleichzeitigem Anziehen des Wachstums auf etwa gleiche Höhe in Europa, insbesondere in Deutschland. Darauf gründet sich unsere optimistische Erwartung der Unternehmensgewinn-Entwicklung und daraus folgend die Hoffnung auf steigende Kurse.

Diese Grundannahmen sind "Allgemein-Wissen", "Allgemein-Bildung", "Allgemein-Meinung". Obwohl genau so "allgemein" bei uns allen das Wissen vorhanden ist, daß Wirtschaftsprognosen extrem unsicher und berichtigungsbedürftig sind. Das ist nicht als Kritik an den beteiligten Wirtschaftswissenschaftlern gemeint. Es ist nur einfach so, daß das gegenwärtig verfügbare Datengerüst und Prognoseinstrumentarium keine besseren Ergebnisse ermöglicht.
Unterliefe einer Sekretärin ein Tippfehler bei der Wachstumssteigerungsrate, ein Tastenanschlag zuweit rechts, und bliebe dieser unentdeckt und unbemerkt, würde der Bundeskanzler mit stolzgeschwellter Brust und im Ton innerster Überzeugung uns 4% anstatt 3% Wachstum mitteilen und wir alle, alle würden uns freuen und es glauben. Dieses skurille Beispiel verdeutlicht, wie dünn das Eis ist, auf dem alle Fundamentalanalytiker tanzen. Nichts in diesem Bereich der Globalprognose ist für den Einzelnen verifizierbar.
Mit die letzten veröffentlichten, wirklich messbaren Wirtschaftsdaten waren die Investitionsgüter-Auftragseingänge im 3. Quartal 2000 für Deutschland. Dieser Wert wies, zum zweitenmal in Folge, einen Rückgang auf.

Notenbankpolitik: Wir erwarten, daß Alan Greenspan das Niveau der kurzfristigen Zinsen in den USA durch geeignete Maßnahmen zurückfährt und die verfügbare Liquidität erhöht und das "Wim and his Crew" ihm, nach einer gewissen, Unabhängigkeit demonstrierenden, Schamfrist darin folgen werden. Daraus resultiert unsere Hoffnung auf eine Hausse-Unterstützung von der Zins- und Liquiditätsseite her.

Man muß von allen guten Geistern verlassen sein, wenn man sich einbildet, Alan und Wim "ausrechnen" zu können. Man ist deshalb auch sicherlich ebenso verlassen, wenn man auf solchen Prognosen seine Erwartungen für künftige Investments gründet. Vernünftiger ist es sicherlich abzuwarten, was die Notenbanken wirklich beschließen und danach auf sicherer Grundlage zu handeln.

Wechselkurs: Wir erwarten, wie in den Vorjahren, eine Umkehr des Trends in der Wechselkursrelation US-Dollar/Euro.
Endlich gibt es 'mal einen Chart. Zum erstenmal gibt es wirklich was zu sehen. Seit einigen Wochen hat sich ein kurzfristiger Trend entwickelt, der eindeutig auf ein Erstarken des Euros hinweist. Doch der MDT ist voll intakt und sobald wir aus der gegenwärtigen Entwicklung mehr folgern, als daß sich der Euro von seinen vorangegangenen Tiefstständen gegenwärtig etwas erholt, verlassen wir das Gebiet des Sichtbaren und wechseln in die Nebelzone des Erhofften.

Wieso warten wir übrigens eigentlich alle sehnsüchtig auf ein Wiedererstarken des Euros? Sind wir ein Volk von Währungsspekulanten, das daraus Gewinn zu ziehen hofft? Da wir sehr viel mehr in Gebiete der Dollar-Zone exportieren als von dort importieren, sollten wir eigentlich vernünftigerweise mit dem gegenwärtigen Zustand ganz zufrieden sein und uns nicht zu sehr eine Änderung wünschen.

Aktienbörsen: Wir erwarten zumindest moderat steigende Börsen bei den Standardwerten und deutliche Erholungen bei den stark gedrückten "Wachstums"-Werten der NASDAQ und des Neuen Marktes. Die pessimistischte von mir gelesene DAX-Prognose lautete auf 6800 Punkte, die optimistischten (neueren) auf 8500 bis 9000 Punkte. Für den NEMAX werden allgemein Erholungspotentiale zwischen 20% und 50% genannt.

Den Dow Jones "sehen" die meisten US-Analysten bei 11000 bis 12500 Punkten. Die Meinungen zur Entwicklung der NASDAQ-Werte ist uneinheitlicher. Während die Analystenmehrheit erhebliche Anstiege zwischen 30% und 100%(!) im kommenden Jahr "sieht", gibt es eine Minderheit, die von einem Hardlanding in diesem Marktsegment ausgeht und einen bevorstehenden Crash ankündigt.

Japans Börse wird, zumindest von den mir zugänglichen Meinungen, verhalten optimistisch(!) eingeschätzt. Man erwartet, mehr oder weniger deutlich ausgesprochen, daß die japanische Konjunktur durch die anziehende Weltkonjunktur angekurbelt oder doch zumindest "mitgeschleppt" werden wird.

Allen Leitindices ist in Wirklichkeit gemeinsam, daß sie sich in intakten Downtrends befinden. Viele von ihnen, etwa NASDAQ, S&P 500 und Nikkei weisen gegenwärtig sogar charttechnisch hochbedenkliche Konstellationen auf. Natürlich gibt es in diesen fortbestehenden Trends auch eine Fülle von gegenläufigen Bewegungen. Je spitzer man seinen Bleistift spitzt, desto mehr kann man in diese Gegenbewegungen hineininterpretieren, von ihnen "erhoffen". Das Gegenwärtige mag sich alles ändern, vielleicht schon im Januar, gewiss, gewiss. Aber zu "sehen" ist von diesen optimistischen Vorankündigungen, konservativ-charttechnisch betrachtet, definitiv noch nichts, und solange dürfen sie nicht voreilig als existent mißverstanden werden.

Gerade weil die Börsenwirklichkeit so konträr zur Mehrheitsmeinung läuft, kann es kein Fehler sein, sich die Wirkungen der andauernden "Gehirnwäsche" durch die Medien zu verdeutlichen und ihr zu widerstehen. Die Wirklichkeit ist Moll und wenn die Musik in Dur spielt, heißt das noch lange nicht, daß sich das Publikum zwangsläufig der Stimmung des Orchesters anschließt.


Chartisten sind in der wunderbaren Situtation, mittels einer Technik, die sehr wenig Information, Intelligenz und Wissen erfordert, den Wert von mentalen und intellektuellen Beeinflussungsfaktoren zu überprüfen. Akzeptieren wir Chartisten also, daß wir uns bis auf weiteres in einer weltweiten Baisse-Situation befinden. Deren Ende, nach den Erfahrungen von Sentimentstechnikern, möglicherweise deshalb noch nicht nahe ist, weil alle die Trendwende in unmittelbarer Zukunft erwarten und das Unwort "Baisse" geradezu panisch meiden.

Trader in Derivaten werden diese Baisse lediglich als eine von zwei Marktmöglichkeiten empfinden, in denen es möglich ist, erfolgreich zu agieren und Gewinne einzufahren.

Überzeugte Langfrist-Investoren vertrauen auf die anhaltende Wirkung ihrer Kosto'schen Schlaftabletten und hoffen, daß das böse Erwachen ausbleibt, wenn sie in fernen Jahrzehnten das einmal investierte Kapital benötigen und seine Rendite mit der anderer Anlagemöglichkeiten und abweichender Anlagezeithorizonte vergleichen.

Für mittelfristig orientierte Anleger in Aktien ist die Situation schon deutlich schwieriger. Der Generaltrend gefährdet jede Einzelwertentwicklung. Diese Tatsache sollte man stets im Gedächtnis behalten. Aus diesem Grunde kann es auch nicht falsch sein, sich von der Börse fern zu halten, seine Mittel sicher in verzinsliche Anlagen "zwischenzulagern", solange der Börsenumschwung noch nicht wirklich eingetreten ist und nur auf dem Papier und in den Köpfen stattgefunden hat. Cash ist gegenwärtig die mit Abstand komfortabelste Ausgangssituation für 2001.

Wer dennoch "unbedingt und in gewissem Umfang etwas machen" möchte, ich persönlich gehöre leider zu dieser bedauerlich inkonsequenten Gruppe, bleibt auf Stock-picking angewiesen.
Es gibt immer Einzelwerte, die gegen den Trend laufen. Die meisten dieser Trendwenden gegen den Generaltrend sind jedoch zu frühe Fehlsignale und deshalb das Reservoir, aus dem jene so gern schöpfen, die sich danach notgedrungen als "Bottom fisher", "Contrarians" und "Antizykliker" aufführen. Man sollte sich des erhöhten Risikos von False-breaks in einem negativen Marktumfeld stets bewußt bleiben.

Zur richtigen Einzelwert-Selektion kommt deshalb als zweite wichtige Entscheidungskomponente das richtige Timing. Es gibt wunderschöne Erfolgsbeispiele. Lutz Düvel hat vor zwei Wochen mit der Walter AG ein solches präsentiert, bei dem sowohl Einzelwertselektion wie auch Timing optimal stimmten.

Dieses Beispiel sollte durchaus ermuntern (Aber nicht leichtsinnig machen). Daß das Durchflöhen hunderter von Einzelcharts gegenwärtig fast nichts erbringt, was sich als charttechnische Investmentmöglichkeit darstellt, ist "Sehen". Ist ein eindeutiges Warnsignal an alle Ungeduldigen und nicht etwa individuelles charttechnisches Unvermögen.

Dies ist zugleich aber auch der eindeutige Beweis, daß "Hoffen" gegenwärtig eine absolut deplazierte Arbeitsmethode ist.


Kurt Seifert
01.01.2001


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