TA professional, Fr, 10.11.2000, ks.
Seit antiken Zeiten gilt Eingeweideschau als zweckdienliche Vorbereitung für nachfolgendes Orakeln.
Niemand darf sich deshalb wundern, wenn ein Chartist die künftige Entwicklung eines Indexes von dessen Einzelkomponenten abzuleiten versucht.
Unser wichtigster Index befindet sich seit Februar des Jahres im Downtrend. Lange Zeit hat sich die Marktmehrheit vorgelogen, es sei nur eine Seitwärtskonsolidierung. Doch inzwischen lassen sich Trendkanallinien zeichnen, die unerbittlich südwärts weisen. (Siehe auch aktuelle DAX TA in Ausgabe Nr.21.)
Die hinter uns liegenden optimistisch stimmenden Tagesbörsen der vergangenen Wochen verlockten bereits die ersten zu Trendwende-Rufen. In Wirklichkeit ist die ganze Erholung der letzten Zeit charttechnisch lediglich ein schwächlicher Pull-back (der schon wieder abknickt und deshalb beendet scheint) zum bereits sinkenden GD 200. Innerhalb des erwähnten Abwärtstrendkanals reicht dieser Swing nichtmal bis zur oberen Begrenzung.
So etwas hat man schon tausendfach gesehen und zeichnet deshalb im Geiste bereits die weitere Chartentwicklung ein. Rückfall bis zum vorangegangenen Tief. Und dann kommt es darauf an. Hält die Unterstützung, darf man hoffen, anderenfalls...
Dieses Szenario wird stimmig begleitet von einer baissierenden NASDAQ und einem folgsam mitstürzenden Neuen Markt. Seit Wochen sehen wir tägliche Kapitalverluste, oftmals im zweistelligen Millardenbereich. Dafür verhält sich das Publikum eigentlich noch recht diszipliniert, finde ich.
Aber weichen wir nicht vom Thema ab. Ich wollte eigentlich etwas Optimistisches schreiben, mithilfe der DAX-Einzelwert-Chartbetrachtung. Ein Überflug in alphabetischer Reihenfolge zeigt:
- Adidas : Kein glücklicher Einstiegskandidat für mein Vorhaben. Hangelt sich an seinem sinkenden GD 200 nach unten. Obwohl - das letzte Tief aus dem März diesen Jahres wurde bisher nicht unterschritten. Solange dies nicht geschieht, besteht Hoffnung. Es reicht ein ca. 15%iger Anstieg, um aus einem intakten Downtrend plötzlich einen Double-Bottom werden zu lassen.
- Allianz : Der Aktienkurs hat sich gerade über seinen noch steigenden GD 200 zurück nach oben gerettet. Das Hoch vom Jahresanfang ist keine 10% entfernt. Sicherlich gegenwärtig kein heißer Kaufkandidat. Andererseits, ein paar starke Tage, und ...
- BASF : Spielverderber. Dieser Chemiewert wurde von Fundamentalanalytikern in den letzten Tagen mehrfach positiv erwähnt. Charttechnisch ist hingegen selbst der unmittelbar zurückliegende Kurzzeitausflug über den GD 200 als eher entmutigend zu werten. Das Ganze sieht aus, wie das typische Top eines deutschen Standardwertes so standardmäßig auszuschauen pflegt. Laufzeit über ein Jahr, 15%-20% Schwankungsbreite, "Multiple Head and Shoulder Formation", würde John Magee sagen. Unter 39 Euro gehen die Lichter aus. Da hilft nur noch Daumendrücken und hoffen, dass es viele Anleger nach Fundamentalargumenten gibt.
- Bayer : Flach aber stetig steigender Trend, in den letzten Wochen sogar mit Beschleunigungstendenzen. Ein neues All-time-high liegt nur wenige Tage zurück. Eine Aktie, die man IMO zum gegenwärtigen Zeitpunkt durchaus als Kaufkandidaten in die engere Wahl ziehen kann.
- BMW : Seit Mitte Juli in einer Seitwärtskonsolidierung im noch voll intakten Aufwärtstrend. Dies ist im gegenwärtig schlechten Börsenumfeld durchaus ein Zeichen von relativer Stärke. Die Aktie ist zumindest eine charttechnische Halteposition. Es bedarf nur eines geringen Anstieges, um ein Kaufsignal zu erzeugen.
- Bay.Hypovereinsbank : Im mittelfristigen Chart ist nur eine tendenzlose Seitwärtsbewegung mit leichter Schwächeneigung erkennbar. Im Langfristchart sieht dieser Wert schlechter aus. Da sieht man, daß die Aktie meilenweit von ihrem All-time-high, erzeugt durch die '98er Fusionshysterie der Vorgängerinstitute, entfernt ist und alles, was dem nachfolgenden Absturz folgte, ist eine ebenso hochvolatile wie letztlich kraftlose Gegenbewegung, die schon wieder verkümmert. Sicherlich kein interessanter Wert in dieser Zeit.
- Commerzbank : Schwach. Pendelt in letzter Zeit um ein nicht übermäßig imponierendes Unterstützungsniveau bei Euro 32,50 aus dem letzten Jahr, das möglichst nicht unterschritten werden sollte. Es gibt zwar auch dadrunter jede Menge Ansatzpunkte für Unterstützungslinien, auch liegt die langfristige Aufwärtstrendlinie bei gegenwärtig ca. Euro 25,50 noch beruhigend weit drunter... Trotzdem, ein Kauf drängt sich nicht auf.
- DaimlerChrysler : Lehrbuchhaft. Ein Bilderbuchtrend in den Augen jedes Chartisten. Schade nur, daß es abwärts geht.
- Degussa-Hüls : Vor einer Woche noch hätte ich, unter Bezugnahme auf den Text bei Daimler, mich mit einem schlichten "dito" begnügt. Durch Lutz' "Break: SKW Trostberg"-Thread angeregt, sah ich Degussa heute auf einem kurzfristigen Candle Stick-Chart und war angenehm überrascht. Was in dieser Aktie in der letzten Woche lief, sieht nach Trendbruch und Wende zum Besseren aus.
Je weiter man das Zeitfenster aufzieht, desto mehr relativiert sich allerdings dieser positive erste Eindruck. Schaut man auf einen 400-Tage-Chart, sieht man, daß der Downtrend absolut intakt ist und, mehr noch, daß die Aktie dazu neigt, in größeren Zeitabständen charttechnisch tückische Ausbrüche über den GD 200 zu produzieren, die sich durch anschließendes Zurückfallen der Kurse als Bullenfallen demaskieren.
Sicherlich ist die laufende Situation einer näheren Beobachtung wert, aber ich hätte es gern noch ein bißchen deutlicher und sicherer, bevor ich bei diesem Wert "hinein" zu denken beginnen werde.
- Deutsche Bank : Seit Juli im Seitwärtstrend am All-time-high. Ein Tick von einem Kursanstieg reicht, um ein neues High und damit ein Kaufsignal zu produzieren. Das man allerdings abwarten sollte. Insgesamt jedoch eine befriedigende charttechnische Situation im gegenwärtig schwierigen Börsenumfeld.
- Deutsche Telekom : Die Aktie ist wieder glücklich auf ihrem 99er Kursniveau angekommen. Solange sie dort verharrt, ist erstes Aufatmen und Wundenlecken angesagt. Nur gibt das gegenwärtige Kursbild noch keinen Anlaß für eine sichere Prognose der weiteren Entwicklung. Man kann nur feststellen, daß die Aktie sich voll im Abwärtstrend befindet. Ob der nächste Downswing das erreichte Widerstandsniveau respektieren wird, werden die nächsten Tage zeigen.
- Dresdner Bank : Seit einem Jahr, letztlich tendenzlos, in der Topzone.
- E.ON : Ja-ah. Das Hoch aus August 1999 ist eben überwunden, das All-time-high aus April 1998 nur noch 3 Euro entfernt. Wer, wie ich, die Wende bei den Energiewerten irgendwie verschlafen hat, sollte diese 3 Euro, und noch 3 weitere zur Sicherheit, übrig haben und auf Basis eines charttechnisch bestätigten neuen All-time-high über einen Einstieg nachdenken. Der Wert sieht gut aus.
- Epcos : Downtrend. Schnell weiter.
- Fresenius : Schlängelt sich auch am GD 200 entlang. Diesmal erfreulich nach oben. In den letzten Monaten ist kursmäßig nicht allzuviel passiert, aber die Nähe zum Top und ein stetig steigender Money-flow-Index verraten permanentes Anlegerinteresse und machen eine Beobachtung dieses Wertes sinnvoll.
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