Sonderbericht: Dow Jones + S&P 500 Index

TA professional, Mi, 19.09.2001,
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Bezugnehmende Artikel in Ausgabe Nr.23, Ausgabe Nr.20, Sonderbericht vom 27.06.2000

Das hat es seit Jahrzehnten nicht mehr gegeben: fast eine ganze Woche, vier Tage hintereinander war der gesamte Handel an den amerikanischen Börsen ausgesetzt. Die Terror-Anschläge auf das World Trade Center forderten mit nicht für möglich gehaltener Brutalität das Leben Tausender unschuldiger Menschen und trafen zielsicher und erbarmungslos das Herz der amerikanischen Finanzwelt.

Börsen in anderen Ländern, die unterdessen weiter handelten, brachen ein. Entsprechend nervös schaute man auf die Eröffnung an der Wall Street am Montag dieser Woche. Da die Märkte ohnehin schon angeschlagen sind, galt es, einen Kollaps der US-Börse um jeden Preis zu verhindern. So überraschte es nicht sonderlich, daß Notenbank-Chef Alan Greenspan noch vor dem Handel eine weitere Senkung des Leitzinssatzes um 50 Basispunkte bekannt gab. Banken, Brokerhäuser und Großinvestoren wie z.B. Warren Buffett bekundeten öffentlich, den Markt durch Käufe stützen zu wollen oder zumindest nicht als Verkäufer aufzutreten.

In der ersten halben Stunde hielt sich der Leitindex Dow Jones mit einem Minus von nur etwa zwei Prozent denn auch verdammt gut, während die High-Tech-Indices sofort bei minus fünf Prozent und mehr festgestellt wurden. Danach drückte das Verkaufinteresse auch den Blue Chip-Index Dow Jones markant in die Verlustzone. Zur Schlußglocke liegt er 679 Punkte oder 7,1 Prozent tiefer bei 8920,70 und damit erstmals seit Dezember 1998 wieder unter 9000 Punkten.

Nur diesen Tag allein betrachtet, bin ich der Meinung, daß es viel schlimmer hätte kommen können. Sieben Prozent Verlust an nur einem Tag, das ist viel für den Dow, doch nach diesem außerordentlichen Ereignis ist es ein Ergebnis, mit dem man leben kann. Der DAX, der nach dem Anschlag letzte Woche ohne Unterbrechung weiter gehandelt wurde, hatte bis zum Montag fast zwölf Prozent verloren.

Doch kommen wir zur Sache, schauen wir uns an, wie sich der Einbruch im mittel- und auch langfristigen Bereich charttechnisch auswirkt.
Im folgenden Bar-Chart auf Wochenbasis sehen wir die letzten 3,5 Jahre der Dow Jones-Historie. Mittig eingezeichnet ist die riesige Diamond-Struktur, auf die an dieser Stelle ausführlich z.B. im Sonderbericht vom 27.06.2000 eingegangen wurde.

Chart: Dow Jones Industrial 30 Index - mittelfristig
Der braune Pfeil markiert den Zeitpunkt der letzten Technischen Analyse, die in der TA professional Ausgabe Nr.23 vom 26.04.2001 veröffentlicht wurde. In den Wochen zuvor ist die Indexkurve unter die Unterstützung 10.500 und dann auch deutlich unter 10.000 Punkte gefallen (gelb markiert links).
Das sich dadurch erheblich verschlechternde Chartbild veranlasste mich, im April-Sonderbericht auf die Gefahr eines nachfolgenden Pull-Backs hinzuweisen. Eine Pull-Back-Situation gleicht einer Bullenfalle - nach dem erfolgreichen negativen Durchbruch schießen die Kurse ein letztes Mal in einer schnellen Bewegung nach oben, um danach endgültig in den neuen Abwärtstrend zu fallen.

Bis Ende Mai erholte sich der Dow Jones sogar bis zum obersten Widerstand 11.300, der den Index seit zwei Jahren mehrfach sehr exakt und nachhaltig umkehrte. Auch dieser letzte Test scheitert. Obwohl die Erholung bis 11.300 für einen reinen Pull-Back recht weit reichte, hat sich die Situation vier Monate später betrachtet charttechnisch einwandfrei aufgelöst. Einwandfrei, d.h. in diesem Fall charttechnisch erwartungsgemäß, jedoch leider auch die für uns Investoren denkbar schlechteste Entwicklung.

Ganz rechts gelb markiert ist die Kurslücke bzw. das Gap, das durch den Sieben-Prozent-Einbruch unter 9000 am Montag entstand. Das März-Tief bei 9389,48 wurde damit deutlich unterschritten. Es ist nicht mehr von der Hand zu weisen, daß sich der Dow Jones nun von der riesigen, über zwei Jahre andauernden Top-Formation entfernt.

Mindestens mittelfristig erhält der Dow Jones so ein klar negatives Rating. Wie sieht es im langfristigen Bereich aus :

Chart: Dow Jones Industrial 30 Index - langfristig
Der obige Candle-Stick-Chart fasst jeweils Monate zusammen und zeigt so eine Historie von etwas mehr als zehn Jahren. Im vorherigen Chart sahen wir nur die Entwicklung der letzten vier Abschnitte ganz rechts, die jeweils ein Jahr darstellen. Eingezeichnet sind Widerstand (rot) und Unterstützung (blau) des extrem langfristigen Aufwärtstrendkanals, der vor fast 20 Jahren 1982 begann!

Innerhalb dieser gesamten Zeitspanne verletzte der Dow Jones Index die untere (blaue) Aufwärtstrendlinie bislang nur einmal in den Jahren 1994-1995. Nun, sechs Jahre später fällt der Dow Jones mit dem gerade erfolgten Sturz unter 9000 Punkten innerhalb der letzten zwei Jahrzehnte ein zweites Mal unter den Aufwärtstrend (rechts gelb markiert).

1994 wurde der Dow Jones mit ansteigender Tendenz vom Widerstand 4000 aufgehalten und wanderte dadurch nur moderat seitwärts aus dem Kanal. Nicht bedrohlich. Doch dieses Mal sieht es wirklich kritisch aus. Seitdem die untere Trendlinie verlassen wurde, beschleunigt der Dow und wird dabei bislang auch nicht von der nächsttieferen waagerechten Unterstützung knapp über 9000 gebremst, die man im ersten Chart besser erkennen kann.

Fazit: die Lage ist nun auch beim Dow Jones Index ernst. Mindestens ein Test der massiven Unterstützung bei 8000 Punkten ist m.E. so gut wie sicher. Das ist auch nicht mehr weit. Zwei, drei schwache Tage in Folge und wir sind dort. Insofern wundert es mich, daß selbst ein "Perma-Bear" wie Roland Leuschel nur eben dieses Ziel für den amerikanischen Leitindex nennt.

Der Dow Jones Industrial Index ist ein sehr einfach gestrickter Index, der zudem mit nur 30 Werten keinen breiten Markt repräsentiert. Jeder breiter gefasste Index Amerikas zeigt schon seit längerer Zeit nach unten. Sehen Sie dazu im folgenden Chart einen Relativ-Vergleich des Dow Jones Industrial 30 mit dem Standard & Poors 500 Index ab August 2000 :

Chart: Relativ-Vergleich Dow Jones vs. S&P 500 Index
In einem längerfristigen Vergleich verhalten sich beide Indices ziemlich gleichwertig, doch es ist eindeutig, daß sich der S&P 500 spätestens seit dem 4.Quartal 2000 erheblich schwächer entwickelt.
Im Langfrist-Chart des S&P 500 ist der mindestens mittelfristige Trendbruch nämlich längst eindeutig :
Chart: S&P 500 Index - mittelfristig
Die Kurve des S&P 500 markiert im Jahr 2000 knapp über 1500 ein Top. Einen Diamond oder eine andere Formation kann man hier m.E. nicht sehen. Ein deutliches Verkaufsignal wurde jedoch wie beim Dow Jones spätestens im Februar-März diesen Jahres mit Unterschreitung der Neckline 1280 und der Unterstützung bei 1200 geliefert. Der Abwärtstrend lässt sich seit Monaten kanalisieren.

Das April-Tief wurde schon vor dem Anschlag auf das World Trade Center unterschritten, die geringe Chance auf einen Doppel-Boden ist damit wie beim Dow Jones zerschlagen worden. M.E. sehen wir auch beim S&P 500 mindestens den Test der massiven Unterstützung bei der vollen Marke 1000.
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Die besten Ergebnisse erzielt man mit Technischer Analyse, wenn man die Charts so gut es geht objektiv und emotionslos einschätzt. So war es nach den Trendbrüchen nahezu aller Leitindices weltweit schon seit einigen Monaten von Vorteil, überwiegend Cash zu halten. Vom HighTech-Sektor, der in dieser Rubrik seit langem überaus pessimistisch eingeschätzt wurde, ganz zu schweigen.

Nun wird mit dem Einbruch des Dow Jones auch die letzte, erzkonservative Bastion betroffen. Ich bin mir gleichzeitig sicher, daß die Amerikaner Maßnahmen in der Schublade vorbereitet haben, die in richtigen Not-Situationen angewendet werden sollen. Damit meine ich nicht nur (außerplanmäßige) Senkungen der Leitzinsen. Der US-Markt läuft seit fast 20 Jahren ohne Unterlaß aufwärts und es gab bislang so gut wie keine wirkliche Krise. Der Trend war intakt, intakt, intakt.
Bricht er, und diese Möglichkeit besteht momentan, dann werden die Karten nach langer Zeit neu gemischt. Das weiß Alan Greenspan, die amerikanische Regierung und Führungsetage.
Angesichts der charttechnischen Lage kann man nur empfehlen : ziehen Sie sich vorsichtshalber warm an!


Gruß und Erfolg, Lutz Düvel
[ TA professional Herausgeber ]
19.09.2001

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